Am Anfang ist vielleicht eine Begriffsklärung hilfreich.

Das klassische Berater-/Expertenmodell: Der Kunde hat ein Problem und nicht das erforderliche Fachwissen. Er erwartet einen Ratschlag. Er will gut informiert bzw. gut beraten werden. Dies wird gelegentlich auch als Telling und Selling bezeichnet. Der Experte liefert zum Problem eine Lösung. Ähnlich ist das Arzt-Patient-Modell: Der Arzt (der Berater) macht einen Check-up und „verschreibt“ ein Medikament – die Lösung. Unter Umständen kommt der Berater gelegentlich nochmal vorbei, beobachtet den Fortschritt und verändert die „Medikation“.

Prozessberatung: Was ist das eigentlich? Oder vielleicht besser: Was ist im Bereich der Organisations- und Teamentwicklung darunter nicht zu verstehen? Gemeint ist hier nicht die Beratung wie ein Unternehmensprozess zu optimieren ist.

Der Begriff beschreibt eine „helfende Beziehung“ in Coaching, Beratung und Organisationsentwicklung. Es geht um gemeinsame Lösung des Problems mit dem Kunden, nicht um einen Ratschlag.

Prozessberatung ist vielleicht eher eine Haltung, als eine Technik. Der Berater versucht der Organisation, die letztlich ein soziales System ist dabei zu helfen, die passenden Lösungen zu finden. Er gestaltet einen Prozess, der dem Kunden erlaubt sich des Problems und möglicher Lösungen bewusst zu werden.

Im Sinne der Organisationsentwicklung bedeutet Prozessberatung mit dem Klienten die Kommunikation so zu gestalten, dass er die in seinem Umfeld auftretenden Probleme wahrnimmt, sie verstehen lernt und dadurch darauf reagieren kann. Dann kann er seine Situation im Sinne seiner Definition verbessern.

Sind das jetzt nicht philosophische Fragen?

Nein, denn Agilität und Selbstorganisation müssen erlernt werden. Dazu braucht es auch Expertenwissen. Mit einem detailliert ausgearbeiteten Lösungskonzept oder einem Training ist diese Herausforderung nicht zu meistern. Neue Strukturen und eine neue Kultur muss entstehen. Alte hinderliche Arbeitsmethoden und kulturelle Probleme müssen ent-lernt werden. Das ist ein Prozess, der stattfinden muss.

Es ist also nicht mit Prozessberatung alleine zu bewerkstelligen, auch wenn sie eine wesentliche Komponente darstellt. Man braucht die sinnvolle Kombination von beidem. Prozessberatung zum Erkennen der Probleme und der Dinge, die sich manchmal hinter den Problemen verstecken. Expertenwissen, um zu erkennen, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt sowie die Kombination von beidem, wenn es in die Umsetzung in Unternehmenspraxis geht.

Maria Montessori hat es in einem anderen Kontext, aber wie ich finde auch sehr passend für die Organisationsentwicklung ausgedrückt:

„Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu‘ es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab‘ Geduld meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen.“
Maria Montessori

Aus diesem Blickwinkel gesehen: Keiner kann der Organisation die Arbeit abnehmen, die darin besteht

  • die für das Unternehmen beste Struktur zur finden und aufzubauen sowie
  • klare Handlungsrahmen und Orientierung zu schaffen und
  • neu verlässliche, wiederholbare, unbürokratische und einfache zu lebende Führungs-, Entscheidungs- und Organisationsprozesse zu erlernen

Damit dann die Kultur entsteht, die die agile Organisation braucht.

Keiner kann für die Organisation wachsen. Das müssen die beteiligten Menschen selbst tun. Jeder für sich, gemeinsam für ein lebenswertes Unternehmen. Mit Hilfe zur Selbsthilfe.